Gesetz zu COVID-19
Das Gesetz zur konsequenten und solidarischen Bewältigung der COVID-19-Pandemie in Nordrhein-Westfalen und zur Anpassung des Landesrechts im Hinblick auf die Auswirkungen einer Pandemie wurde am 1. April vom Landtag in der 1. Lesung behandelt und an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales (federführend) und zehn weitere Ausschüsse überwiesen. Der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat am 1. April im Anschluss an die Sitzung des Landtagsplenums eine Anhörung beschlossen, welche am 6. April stattfand. Auf Basis der Anhörung hat der Ausschuss am 9. April dem Parlament den Gesetzesentwurf in geänderter Form zurückgegeben. Der Landtag hat am 9. April einen weiteren Änderungsantrag übernommen. Das Gesetz wurde am 14. April vom Landtag beschlossen.
Unter anderem kann durch dieses Gesetz das Ministerium für Kultur und Wissenschaft per Verordnung in die Autonomie der Hochschulen, Studierendenschaften und Fachschaften eingreifen. Eine solche Verordnung des Ministeriums wird voraussichtlich noch vor Beginn der Vorlesungszeit erlassen.
Begründung
Das zugrundeliegende Problem schildert der Gesetzesentwurf wie folgt:
„Das neuartige Coranavirus [sic] SARS-CoV-2 hat sich in kurzer Zeit weltweit verbreitet. Auch in Deutschland und insbesondere in Nordrhein-Westfalen gibt es inzwischen eine hohe Zahl von Infektionen. Das für Gesundheit zuständige Ministerium hat vor diesem Hintergrund mit Verordnung vom 22. März 2020, gestützt auf Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes, verschiedene Maßnahmen zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coranavirus [sic] getroffen (GV. NRW. S. 178a). So dürfen etwa Rückkehrer aus Infektionsgebieten bestimmte Bereiche nicht mehr betreten, Handel und Gastronomie sind deutlich eingeschränkt, der Betrieb von Freizeit-, Kultur-, Sport- und Vergnügungsstätten ist untersagt, ebenso Veranstaltungen, Versammlungen, Zusammenkünfte und Ansammlungen in der Öffentlichkeit.
Zur Bewältigung der direkten und indirekten Folgen der Krise für das Land Nordrhein-Westfalen hat der Landtag am 24. März 2020 ein umfassendes Maßnahmenpaket beschlossen (Nachtragshaushaltsgesetz 2020, GV. NRW. S. 185; NRW-Rettungsschirmgesetz, GV. NRW. S. 185).
Jenseits der bereits getroffenen Maßnahmen gibt es in verschiedenen weiteren Rechtsbereichen dringenden gesetzlichen Anpassungsbedarf. So fehlen bislang Regelungen, die für den Fall einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite dem Land die entsprechenden Krisenreaktionsmaßnahmen im Bereich der stationären Versorgung und des öffentlichen Gesundheitssystems ermöglichen. Viele Vorschriften sind außerdem, etwa was Zusammenkünfte von Personen oder Abwicklung von Verwaltungsleistungen anbetrifft, nicht auf die aktuelle Krisensituation zugeschnitten. Dringender Regelungsbedarf existiert auch zur Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit der Kommunen, zur Sicherung von Schul- und Bildungslaufbahnen, im Hochschul- und Kunsthochschulbereich, zur Bildungsfinanzierung und im Personalvertretungsrecht."
Änderungen im Überblick
wesentliche Änderungen beziehen sich auf den Fall einer „epidemischen Lage von landesweiter Tragweite“, in welchem unter anderem Folgendes gilt:
- Das Land kann in den Gestaltungsbereich und Versorgungsauftrag von Krankenhäusern eingreifen. Medizinische Vorgaben wie etwa zur Triage sind nicht möglich.
- Gesundheitsämter und weitere Gesundheitsbehörden können notwendige Weisungen erhalten.
- Das Land kann notwendige Materialien und medizinische Geräte kollektivieren. Dabei gilt, dass Privatpersonen nicht enteignet werden können.
- Auf allen staatlichen Ebenen des Landes werden vereinfachte Verfahren für Gremien geschaffen.
- Das Ministerium für Kultur und Wissenschaft kann Regelungen bezüglich Prüfungen, Anerkennung von Leistungen, Regelstudienzeit, Einschreibung, Amtszeiten und Verfahrensgrundsätze der Gremien erlassen und dabei teilweise vom Hochschulgesetz und Kunsthochschulgesetz (relevant für den Fachbereich Musikhochschule) abweichen.
- Elektronische Verwaltungsverfahren werden vereinfacht.
Eingriffsmöglichkeiten des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft
Das Ministerium kann mit der Änderung des Hochschulgesetzes und des Kunsthochschulgesetzes (relevant für den Fachbereich Musikhochschule; die Nummern der Paragraphen sind hier teilweise andere, als die unten angegebenen) folgende Regelungen per Dekret umgehen:
- § 7 (1): Akkreditierung und Reakkreditierung
- § 12: Verfahrensgrundsätze
- § 13: Wahlen zu den Gremien (insbesondere Amtszeiten)
- § 48: Einschreibung
- § 50: Einschreibungshindernisse
- § 53 (4) Satz 4 Nummer 2: Amtszeit der Mitglieder der Organe der Studierendenschaft
- § 54 (3): Wahlordnung
- § 61: Regelstudienzeit
- §§ 63 bis 65: Prüfungen, Anerkennung von Prüfungsleistungen und Studienabschlüssen, Prüfungsordnungen und Prüfer*innen
Landtagsdebatte zur 1. Lesung
Am 1. April debattierte der Landtag ab 10 Uhr über den Gesetzesentwurf. Es gab Lob für einige Medizin-Fachschaften und Kritik an der vorgesehenen Möglichkeit, das Parlament unbefristet zu „entmachten“. Das Gesetz soll bis zur 2. Lesung überarbeitet werden und von möglichst allen Fraktionen des Landtags getragen werden.
Beratung im Landtagsausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales am 6. April
Im Vorfeld sind mehrere Stellungnahmen eingegangen.
Im ersten Teil der Sitzung wurden verfassungsrechtliche Fragen behandelt. Im Bezug auf Hochschulen wurde hier die Verletzung der Freiheit der Selbstverwaltung der Hochschulen angemerkt. Des weiteren wurde darauf verwiesen, dass ein Regieren am Parlament vorbei die Rechte der Opposition verletzt und das dieses Gesetz nur dann vollständig zum Tragen kommt, wenn eine landesweite Epidemie vorliegt, die nicht gleichzeitig eine bundesweite Epidemie ist. Eine verwaltungsrechtliche Regelung der Triage wird als irrsinnig eingeschätzt. Hierzu wurde im zweiten Teil von medizinischen Sachverständigen darauf verwiesen, dass es gegen die Berufsethik verstoße, medizinische Anweisungen von Fachfremden anzunehmen. Außerdem enthält der Gesetzesentwurf eine salvatorische Klausel in § 16, die nach geltender Rechtsprechung unzulässig ist.
Im zweiten Teil werden Fragen an Sachverständige gestellt. Im Bezug auf Hochschulen wurde angemerkt, dass eine einheitliche Regelung des Ministeriums der vielseitigen Landschaft von Fächern und Standorten im Land nicht gerecht werden könne, weswegen eine „bottom up“-Regelung zu bevorzugen sei, bei welcher die Fächer eigene Entscheidungen treffen und höhere Instanzen lediglich Rahmenbedingungen schaffen. Es wurde angeregt, ähnlich wie bei den kommunalrechtlichen Änderungen, die Arbeit der Gremien der Hochschulen, insbesondere der Fachbereiche, zu erleichtern.
Stellungnahme des Landes-ASten-Treffen
Das Landes-ASten-Treffen hat am 7. April einen offenen Brief zum Gesetzesentwurf veröffentlicht. Kritisiert wurde, dass bei Eingriffen in die Hochschulautonomie eine Beteiligung der Studierenden in keiner Weise vorgesehen ist. Ebenso kritisiert wurde, dass das Gesetz nicht auf die aktuelle Lage befristet ist, und dass insbesondere Studierende der Medizin zur Arbeit im medizinischen Bereich verpflichten kann. Ferner sei nicht ersichtlich, weshalb Akkreditierungs-, Einschreibungs- und Anerkennungsverfahren von dem Gesetz betroffen sein sollen.
Es werden unter anderem eine Mitbestimmung der Studierenden bei allen Eingriffen durch das Ministerium, die universitätsinterne Einbindung aller Gruppen des Senats und der AStA bei der Umsetzung der Verordnungen, sowie eine Förderung des Ehrenamts in der Studierendenschaft.
Eine zentrale Regelung in Prüfungsangelegenheiten wird begrüßt.
Beratung im Landtagsausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales am 9. April
Der Ausschuss wertete die Anhörung zum Gesetzesentwurf aus. Während der Sitzung wurde ein Änderungsantrag mehrerer Fraktionen eingereicht. Es wurden nacheinander die Anhörung ausgewertet, der Änderungsantrag besprochen und über den Gesetzesentwurf abgestimmt.
Zur Anhörung wurden die zentralen Punkte zusammengefasst. Dabei wurde betont, dass Freiwilligkeit mehr Potenzial hat als Zwang, dass das Parlament funktioniert, und dass die Fraktionen der Regierungskoalition mitspielen.
Der Änderungsantrag umfasst 14 Seiten. Die Kollektivierung soll bleiben, ein Freiwilligenregister soll eingerichtet werden und Zwangsverpflichtung soll nicht länger vorgesehen sein. Es wurden einige Fristen, Prüfungen und Evaluationen eingeführt, damit die Ermächtigungen immer wieder vor dem Parlament begründet werden müssen. Die Epidemische Lage wird auf zwei Monate beschränkt.
Zum Hochschulgesetz wird eine Änderung vorgesehen, welche es den Gremien erleichtern soll zu funktionieren (Verfahrensgrundsätze hinsichtlich der Sitzungen und der Beschlüsse):
"Unter den Bedingungen einer Pandemie wird es den Hochschulen ggf. nicht möglich sein, die Sitzungen der Organe und der Gremien unter den geltenden Bestimmungen sachgerecht und zielführend zu organisieren. Mit der Änderung werden Verfahrenserleichterungen ermöglicht. So kann etwa durch Rechtsverordnung festgelegt werden, dass Gremien auch dann beschlussfähig sind, wenn die Sitzung ordnungsgemäß einberufen wurde und die anwesenden Mitglieder weniger als die Hälfte der Stimmen des Gremiums auf sich vereinen. Zudem kann geregelt werden, dass die Gremien Beschlüsse auch im Umlaufverfahren fassen dürfen. Darüber hinaus kann die Rechtsverordnung beispielsweise vorsehen, dass die Sitzungen der Gremien der Hochschule in elektronischer Kommunikation stattfinden und Beschlüsse in elektronischer Kommunikation gefasst werden können. Auch kann die Verordnung hinsichtlich der Beschlüsse des Rektorates, des Hochschulrates und des Dekanats vorsehen, dass der Vorsitzende des Gremiums festlegen kann, dass Beschlüsse ohne physische Anwesenheit der Mitglieder fernmündlich oder in vergleichbarer Weise gefasst werden.
Gremien und Organe der Hochschulen können im Rahmen ihrer Kompetenzen flexibel auf die Pandemiesituation reagieren." - Aus dem Begründungstext des Änderungsantrags
Außerdem soll das Jura-Studium berücksichtigt werden.
Der Änderungsantrag und der Gesamtantrag wurden einstimmig angenommen, bei Enthaltung einer Fraktion.
Landtagsdebatte zur 2. Lesung
Am 9. April debattierte der Landtag nach einer Debatte über die Corona-Situation im Allgemeinen ab 13:40 Uhr über den Gesetzesentwurf. Die Änderungen am Hochschulgesetz wurden nicht weiter diskutiert. Es wurden weitere Änderungen übernommen, um die Abläufe in Kommunen während einer epidemischen Lage besser zu regeln. Es wurde die Einberufung einer dritten Lesung beantragt. Dieser Antrag wurde gemäß der Geschäftsordnung des Landtags automatisch angenommen. Daher findet am 14. April eine dritte Lesung statt, in welcher der Antrag beschlossen wird.
Landtagsdebatte zur 3. Lesung
Am 14. April debattierte der Landtag abschließend über den Gesetzesentwurf. Die Änderungen am Hochschulgesetz wurden nicht weiter diskutiert. Es wurden redaktionelle Änderungen übernommen. Im Anschluss wurde das Gesetz beschlossen. Im Anschluss wurde eine epidemische Lage von landesweiter Tragweite festgestellt, welche nun für zwei Monate gilt, und ggf. beliebig oft durch den Landtag um weitere zwei Monate verlängert werden kann.